Kapitel 4 - veröffentlicht -




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Kapitel 4 - veröffentlicht -

Beitragvon readonly1956 » Di 15. Sep 2009, 22:03

Er war so erleichtert darüber gewesen, dem Andrang von Anerkennung und Aufmerksamkeit im Restaurant zu entkommen, dass er nicht an damit gerechnet hatte, auch im Shuttle wiedererkannt zu werden. Als er und Spock mit dem Transporter nach Riverside kamen, hatten sie nicht viel Aufsehen erregt. Allerdings waren das nur kurze Strecken gewesen, auf denen die Leute an verschiedenen Stationen die ganze Zeit ein- und ausstiegen und man genug Ablenkungsmöglichkeiten hatte, um nicht auf andere Fahrgäste zu achten. Die schnellen Shuttles zu den Grenzen von Kanada oder Mexiko, oder nach Alaska, waren da etwas völlig anderes. Sie waren ein paar Stunden unterwegs und dank des lässigen, unmilitärischen Sitzdesigns, welches zum Wohlbefinden der Passagiere beitragen sollte, gab es viele Gelegenheiten, sich umzusehen und alles zu begutachten.

Er versteifte sich ein wenig, als das Gemurmel begann, und bemerkte, dass ein paar Leute ihm verstohlene Blicke zuwarfen und miteinander tuschelten.

James T. Kirk? DER James Kirk? Nein, der bin ich nicht. Mir wurde tatsächlich schon gesagt, dass ich wie er aussehe. Man sagt, es liegt am Mund, dachte er fast verzweifelt. Er war so in sich gekehrt, dass er zuerst gar nicht mitbekam, was Spock sagte.

„Hmm?“, fragte er. Spock sah vollkommen gelassen aus, und wenn Jim nichts von seiner Beobachtungsgabe gewusst hätte, hätte er gedacht, dass der Mann keine Ahnung hatte, was um sie herum vorging.

“Ich fragte, ob Sie im Besitz spezifischen Wissens im Bezug auf das Antriebssystem dieser ‚schnellen Shuttles‘ sind? Ich bin weniger vertraut mit irdischen Schiffen als mit den speziell für die Raumfahrt konstruierten.“, wiederholte Spock geduldig.

„Oh.“, sagte Jim und dachte für einen Moment darüber nach. Er bastelte gern. Es war keinesfalls mit Scottys Besessenheit von Mechanik zu vergleichen, aber er konnte sich bei technischen Simulationen durchaus behaupten. Bevor er zur Sternenflotte gegangen war, war das Auseinandernehmen von Fahrzeugen (bis auf eine Ausnahme auf unspektakuläre Weise) eines seiner legitimeren Hobbies gewesen. Also hatte er tatsächlich Ahnung von ‚irdischen Schiffen‘. „Antriebssystem, hm? Also bei einem Modell wie diesem würde ich sagen…“

Spock hörte aufmerksam zu und stellte in angemessenen Abständen Fragen, als Jim zuerst die Maschinen ihres Shuttles und dann sein wahrscheinliches Betriebssystem erklärte. Danach ging er zu anderen ihm bekannten Fahrzeugen über. Er ging sehr ins Detail, was das Bike anging, das er verschenkt hatte, als er der Sternenflotte beitrat – was vorher fast zwei Jahre lang sein Lieblingsprojekt gewesen war. Es war schwer, die Informationen darüber aus dem Gedächtnis zusammenzukratzen, wenn man bedachte, wie lange er sie nicht angewendet hatte. Raumfahrttechnologie war, notwendigerweise, ganz anders als die auf der Erde verwendete. Von allen Komplikationen aufgrund des Weltraums an sich mal abgesehen, konnte ein Raumschiff viel, viel schneller fliegen ,als es für ein planetarisches Fahrzeug angebracht war. Das All war wie ein großes, weites Feld – eine einzelne Person konnte einfach schnell darüber rennen, weil es kaum etwas gab, mit dem man zusammenstoßen konnte, und wenn doch, konnte man es ziemlich sicher sehen. Wenn das Feld voll war, war das die Hölle für ein Raumschiff. Aber erdgebundene Fahrzeuge benötigten viel weniger Geschwindigkeit und dafür mehr Wendigkeit, da ein Planet voll von Hindernissen war. Gebäude, Berge, andere Menschen, andere Fahrzeuge… außerdem musste man die Abgase bedenken. Auf einem Planeten musste eine Maschine so sauber wie möglich laufen, im All gab es mehr Spielraum für Strahlung und andere unangenehme Einwirkungen. Schon bald entwickelte sich das Gespräch zu Analyse von Unterschieden zwischen Sternenflottentechnologie und Erdtechnologie, wobei Spock seine einzigartig vulkanische Sichtweise in ruhigem, gleichmäßigem Ton darlegte. Das Gespräch war fast hypnotisch.

Jim war so in Gedanken vertieft, dass er nicht mitbekam ,ob noch andere zuhörten oder sie beobachteten. Er hatte keine Ahnung, dass er Spock, der nicht erwartete hatte, dass sein Captain so genau und hintergründig über terranische Fahrzeuge Bescheid wusste, vollkommen überraschte.

„Faszinierend.“, stellte er letztendlich fest, als sie sich den Spaceshuttles und anhaftenden Komplikationen in deren Aufbau zuwandten. „Mir war nicht bewusst, dass Sie auf diesem Gebiet so sachkundig bewandert sind.“

Jim grinste und musste tatsächlich der Versuchung widerstehen, sich damit zu brüsten. „Na ja, ich habe meine Eignungstests alle bestanden, wissen Sie,“ erklärte er und zog ihn damit ein wenig auf, wohl wissend, dass Spock selbst diese Tests vor der Kobayashi Maru-Anhörung durchgesehen hatte. Sein erster Offizier hatte das zugegeben während der angespannten ersten Wochen ihres gemeinsamen Kommandos, als sie noch die Grundregeln ihrer Arbeitsbeziehung festlegten.

Ihr leichtes Wortgeplänkel kam jedenfalls zu einem Ende, als eine tiefer Ton erklang und eine Computerstimme ansagte, dass sie aussteigen sollten. Inmitten der allgemeinen Unruhe, die entstand, als die Passagiere der Aufforderung folgten, bemerkte Jim wieder einige zögernde und spekulative Blicke. Aber er zwang sich, sie zu ignorieren und merkte, dass es ihn gar nicht so sehr störte, wenn er sich auf etwas anderes konzentrierte.

Zum Glück hatte er einen sehr interessanten Halb-Vulkanier dafür zur Verfügung.

Sie benutzten einige der langsameren Shuttles auf dem Weg nach Toronto. Ihre Unterhaltung blieb locker und trotzdem fesselnd und vollständig ablenkend. Jim stellte fest, dass er mehrmals laut lachen musste, angezogen von Spocks subtilem Sinn für Humor. Es hätte sich unangenehm anfühlen können, allein zu lachen. Aber das tat es nicht, nicht wirklich, da Spocks Augen recht verräterisch waren, wenn er belustigt war, und so wusste Jim, dass er nicht wirklich der einzige war, der lachte.

Als sie die Stadt erreichten, war er entspannt und heiter. Alle Besorgnis war vorübergehend in Riverside geblieben und nun lagen diverse Entdeckungsmöglichkeiten vor ihnen. Zuerst mussten sie eine Unterkunft finden. Danach aber trafen sie auf eine Sackgasse.

Ich glaube, ich weiß, warum Leute normalerweise ihren Urlaub planen, dachte Jim, als er und Spock überlegten, wohin sie als nächstes gehen sollten. Toronto war eine interessante Stadt. Er war nicht sicher, wie sein erster Offizier das sah, aber für ihn war es irgendwie faszinierend, einen Ort zu sehen, der so nah der Heimat und doch so ausgesprocheneinzigartig war. Die Erde hatte eine ganze Menge Vielfalt zu bieten, die sich von den Standards anderer empfindungsfähiger Kulturen unterschied. Die Mischung von Einheit und Einzigartigkeit hatte Jahrhunderte gebraucht, um zu entstehen und sich zu behaupten. Die Skyline, die sich vor dem Fenster ihres Zimmers erstreckte, zeigte Gebäude in vielen merkwürdigen und faszinierenden Formen, was vom Geschmack der Stadt in Sachen kreativer Architektur zeugte. Stellen mit grünen, braunen und blass farbigen Blumen säumten die Straßen, wo kleine, gepflegte Gärten einen dringend notwendigen Bedarf an Natur innerhalb der städtischen Umgebung deckten. Die wuchernden Wurzeln der Bäume waren mit Blüten geschmückt und bildeten einen Kontrast zum metallischen Schein der Hochhäuser.

Kurz kam es Jim in den Sinn, dass jemand wie Spock wohl gut daran getan hätte, seiner menschlichen Seite der vulkanischen den Vorzug zu geben. Ihre Natur zwang Vulkanier dazu, ein sehr gesetztes Auftreten zu wahren. Sie hatten alle ein idealisiertes Verhaltensprinzip, Gebaren und Benehmen, nach dem sie streben sollten. Aber Menschen wollten (auch wenn sie es nicht immer hinbekamen) ihre unterschiedlichen und getrennten Vorzüge vereinen und sie sich gleichzeitig bewahren. Für jemanden mit Spocks gegebener Dualität konnte das womöglich nützlich sein.

Er sah zu dem Halb-Vulkanier, der gerade seine eigenen Gedanken ordnete und bemerkte, dass dieser die Aussicht ebenfalls mit Interesse betrachtete. Jim fragte sich, ob er in etwa dasselbe dachte.

„Also,“ sagte er, verschränkte die Arme und lehnte sich an das stabile Material des Fensters. „Irgendeine Idee, was wir jetzt machen sollen?“

Spock dachte kurz darüber nach. „Ich muss gestehen, dass ich nicht erwartet hatte, so bald die Möglichkeit zu haben, die Geburtsstadt meiner Mutter zu erforschen. Meine Kenntnisse über diese Stadt sind bei weitem nicht ausreichend, um eine Perspektive für unser weiteres Vorgehen anzubieten.“

Er konnte nicht verhindern, dass ihm daraufhin ein Schnauben entfuhr. „Oder anders gesagt ‚Mann, wissen Sie, von meinem Captain zum Sightseeing geschleppt zu werden war eigentlich nicht Teil meines Reiseplans‘?“

Eine der auffälligen Augenbrauen hob sich, was nicht wirklich das Flackern der Belustigung im Auge darunter verbergen konnte. „Ich denke, ein treffendes Zitat wäre – ‚Das haben Sie gesagt‘,“ antwortete Spock tonlos. Jim schnaubte wieder, aber dann breitete sich ein besonders breites Grinsen auf seinem Gesicht aus und er musste dem Drang widerstehen, sich Spock einfach zu schnappen und ihn nach draußen zu ziehen, um ohne besonderes Ziel neben ihm her zu schlendern. Er hatte das Gefühl, wenn sie das taten, würden sie über kurz oder lang an etwas lohnenswertem vorbei kommen. Aber er wollte ihre Zeit hier nicht für sich beanspruchen. Spock hatte seine Mutter wirklich gut ertragen. Jetzt war er an der Reihe.

„Also…“, überlegte er. „Sie sagten, ihre Mutter hätte nur entfernte Verwandte hier. Glauben Sie, dass die Sie überhaupt treffen möchten?“ Besonders jetzt, da Sie ein großer Held sind, der dabei geholfen hat, den ganzen Planeten zu retten? , fügte er in Gedanken hinzu.

Spock zeigte das vulkanische Äquivalent eines düsteren Blickes, indem er die Mundwinkel leicht nach unten verzog. „Das weiß ich nicht,“ gestand er. „Mein Wissen über sie ist, wie ich bereits sagte, sehr beschränkt.“

Jim dachte darüber nach und tippte dabei leicht mit einem Schuh auf den Teppich unter ihm. „Haben Sie irgendwelche Kontaktdaten von ihnen?“, fragte er schließlich und lehnte sich mit dem Rücken ans Fenster, sah aber immer noch seinen ersten Offizier an. „Wir könnten ihnen einfach eine Nachricht schicken und sie wissen lassen, dass Sie in der Stadt sind. Dann können sie entscheiden, ob sie Sie treffen wollen oder so.“

Langsam nickte Spock in seiner gewohnt sparsamen Art. „Mein Vater schickte ihnen eine Benachrichtigung, um sie über das Ableben meiner Mutter zu informieren. Ich kann die Kontaktdaten davon abrufen.“, sagte er und ging zur Computerkonsole ihres Zimmers. Jim folgte und stellte sich hinter Spocks Schultern, als dessen Finger über das Touchpad flogen und dann – innehielten. Einen Moment lang herrschte Unschlüssigkeit. Was sollte er sagen? Aber nach ein paar Sekunden war der menschliche Moment vorbei und er sah Spock zu, wie er eine sehr formale, kurze, sachliche Nachricht äußerte.

Verdammt, dachte Jim. Sie werden denken, er ist eine Art Androide oder so. Aber das behielt er für sich und hörte dabei eine Art von nervöser Befangenheit aus den vollkommen unsentimentalen Worten. Einen Augenblick später war die Nachricht abgeschickt.

“Alles klar.”, sagte Jim schließlich, als Spock sich offenbar in sich zurückgezogen hatte. „Hier muss es irgendwo eine Touristeninformation geben…“

Wie sich herausstellte, gab es auch eine. Das Mädel am Informationsstand, das verschiedene Ausflugsziele auf Jims Datapad lud, hatte eins dieser kaugummi-pinken Lächeln und hörte nicht auf, Spock schöne Augen zu machen, der die ihm geschenkte Aufmerksamkeit entweder nicht wahrnahm oder es ziemlich gut so darstellte. Jim fragte sich unwillkürlich, ob er sie ignorierte, weil er Vulkanier war, wegen Uhura oder ob sie ganz einfach nicht sein Typ war?

Nun, was es auch immer war, die Begegnung schien nicht furchtbar wichtig zu sein, und als sie ihre Informationen hatten, machten sie sich auf um, wie Jim es formuliert hatte, ‚Tourist zu spielen‘. Nachdem sie einige weitere erkennende Blicke auf der Straße auf sich gezogen hatten, zog er Spock in einen nahen Klamottenladen und tarnte sich ganz celebrity-like, indem er eine Sonnenbrille aufsetzte. Er sah, dass Spock auffälliger war als er (mal ehrlich, warum sahen die Leute ihn an, wenn er noch nicht mal der Große mit den spitzen Ohren war?) und riet seinem ersten Offizier, sich ähnlich zu tarnen.

Er starb fast, als er Spock eine weiße Mütze tragen sah, welche geschickt die Spitzen seiner Ohren und seine nach oben geschwungenen Augenbrauen verbarg.

„Belustigt Sie etwas, Jim?“, fragte ihn Spock als er versuchte, seinen Humor dazu zu zwingen, dass er sich benahm.

“Nein, nichts, gar nichts.”, leugnete er. Spock bedachte ihn mit einem Blick, aus dem man ableiten konnte, dass er gerade sehr verärgerte Gedanken über die gesamte Menschheit hatte. Aber er behielt diese für sich, selbst als sie durch die Stadt wanderten, hier und dort mit dem Transporter fuhren und Orte untersuchten, in deren Nähe Spocks Mutter womöglich aufgewachsen war. Als sein erster Offizier erwähnte, dass seine Mutter Lehrerin gewesen war, schafften sie es, die Schule ausfindig zu machen, in der sie gearbeitet hatte, bevor sie Sarek traf. Spock bemerkte nur einmal, dass derartige Bemühungen unlogisch waren, und der Protest schien eher symbolisch als alles andere zu sein. Jim entschied sich, die menschliche Karte auszuspielen und dickköpfig darauf zu bestehen.

Ja, Spock, ich unlogisches menschliches Wesen, ich will die Schule sehen, in der Ihre Mutter gearbeitet hat, dachte er sich, amüsiert über seine eigenen Versuche, ‚manipulativ‘ zu sein. Die Schule war nur ein ganz normales Gebäude und war nicht wirklich von Interesse für ihn. Aber er hatte seinen Spaß mit Spock. Ich sollte anfangen, ihn öfter auf die Landemissionen mitzunehmen, wenn wir wieder auf dem Schiff sind, überlegte er. Zuvor hatte er dazu geneigt, seinen ersten Offizier mit dem Kommando über die Enterprise eben dort zurück zu lassen. Langsam begann er allerdings zu denken, dass, so verständlich das aus der Kommando-Perspektive war, er persönlich dabei etwas verpasste. Spock war von Beruf zwar Wissenschaftler, aber eigentlich ein geborener Entdecker. Er stellte Fragen, auf die Jim nie gekommen wäre und bemerkte Details, die seinen Augen entgingen.

Es sah langsam so aus, als würden dies die besten Ferien werden, die er jemals hatte, und bis jetzt hatten sie noch keine lebensbedrohlichen Stunts, schöne, spärlich bekleidete Frauen, Prügeleien oder Alkohol enthalten. Nur eine Menge Wanderungen mit Spock und einen Besuch bei seiner Mutter. Das hätte ich nie für möglich gehalten, dachte er und fragte sich, was er damit anfangen sollte.

Letztendlich landeten sie im Hafen der Stadt, wo der frisch reparierte CN-Tower sich hoch in den Himmel erstreckte – eine einzigartig altertümliche architektonische Besonderheit ging von vielem hier aus. Sie spielten mit dem Gedanken, hinauf zu gehen, aber aus irgendeinem Grund brachten die Ruhe des Wassers und die erfrischende Kühle der frischen Luft sie davon ab.

„Ich kann nicht anders als mich zu fragen, ob sie hier jemals ‚Tourist gespielt‘ hat.“, gestand Spock, während Jim zwei Vögel beobachtete, wie sie träge über ihnen ihre Kreise zogen. Seine Stimme war leise genug, die Worte zögernd genug, dass es fast so war, als ob er nie beabsichtigt hatte zu sprechen.

Jim dachte eine Weile darüber nach. „Sie war doch Lehrerin, oder?“, sagte er schließlich und steckte die Hände in die Taschen. „Also wette ich, sie hat es getan. Sie musste wahrscheinlich ihre Schüler auf Exkursionen durch die Stadt führen.“ Er konnte sich an die Ausflüge erinnern, die er selbst in der Grundschule gemacht hatte, um etwas über Kultur und Geschichte der Erde zu lernen. Obwohl er es heftig abstritt, wenn man ihn danach fragte, liebte er es – ein Teil von ihm war immer noch insgeheim fasziniert von der Menschheitsgeschichte. Die Sternenflotte war zuhause so ein wunder Punkt gewesen. Die Ursache von Stolz und Schmerz gleichermaßen. Also war der Gedanke an eine Zeit, in der es Entdeckungen und Abenteuer gab, ohne dass man dafür je die Erde verlassen musste, eine unwiderstehliche Vorstellung gewesen.

Es war außerdem eine sehr intellektuelle, streberhafte Vorstellung und er hatte auf die harte Tour gelernt, dass das Offenlegen jener Qualitäten eine Einladung für Spott und Kritik war. Deshalb war er etwas überrascht darüber, wie verlockend er es fand, Spock gegenüber dieses Interesse zu gestehen.

„Ich habe diese Art von Ausflügen geliebt, als ich zur Schule ging.“, warf er in die gedankenvolle Stille, die sich zwischen sie gelegt hatte. Oh, verdammter Mist! Es war, als würde Spock irgendeine komische Frequenzwelle aussenden, die die Verbindung zwischen seinem Gehirn und seinem Mund blockierte. Er duckte sich in vorübergehender Verlegenheit, aber sein erster Offizier sah ihn nur an und sagte gelassen: „Tatsächlich?“.

Jim räusperte sich. „Äh, ja.“, bestätigte er. “Na ja, ich meine, es war interessant, wissen Sie? Aus dem Klassenzimmer rauszukommen und…ähem…” Seine Stimme verlor sich, als er mit Mühe versuchte, das zu erklären, ohne sich dabei zum Idioten zu machen.

„Und das Erlangen von Erkenntnissen zu verschiedenen Themen aus erster Hand?“, bot Spock an.

Er schnippte mit den Fingern. „ Gut gesagt. Ja, das trifft‘s.“, stimmte er zu.

Dunkle Augen sahen forschend in seine Richtung. „Auch ich bevorzugte die seltenen Gelegenheiten, bei denen es mir erlaubt wurde, außerhalb des computerisierten Bereichs zu forschen.“

Diese Offenbarung überraschte Jim. „Wirklich?“, fragte er. “Aber Sie können gut mit Computern umgehen.“ Er musste es wissen. Sich ins Kobayashi Maru-System einzuhacken war nicht leicht gewesen.

Spock neigte den Kopf. „Das ist wahr. Mein Können ist außergewöhnlich. Dennoch ist dies nur eine meiner vielen Fähigkeiten.”

Jim prustete und lachte dann geradeheraus über seine Erklärung. „Und bescheiden sind Sie auch noch, hm?“, bemerkte er.

„Da Bescheidenheit als Bewusstsein der eigenen Grenzen, Schwächen, sowie als soziale Freistellung von Stolz oder Übertreibung definiert wird, und Vulkanier nicht übertreiben, ist ihre Einsicht zutreffend.“

Er grinste Spock an, unglaublich amüsiert über seine vorgetäuschte Arroganz und den geschickten Wechsel seiner Züge zu scheinbarer Ignoranz und Unschuld. Dann, für einen Moment, verschoben sich die Wolken über ihnen und befreiten die Abendsonne aus ihren Schatten. Das veränderte Licht setzte Spocks Züge für einen Moment in scharfen Kontrast – die Linie, die von seinem Ohr bis zur Kurve seines Schädels verlief, seine gebogene Nase und die eleganten Brauen hell erleuchtet, während seine Augen vor unterdrückter Belustigung funkelten.

Für einen Augenblick wich alle Luft aus seinen Lungen und sein Mund wurde trocken. Spocks Erscheinung raubte ihm jeden klaren Gedanken.

Es geschah so kurz und augenblicklich, dass es einen Moment später schon vorbei war und die Normalität so schnell wiederkehrte, als wäre nichts gewesen. Jim grinste weiter. Ihre Unterhaltung wurde fortgeführt. Der Eindruck aber blieb, ein geisterhaftes Bild von Licht und Schatten, das die gleiche geheimnisvolle Verheißung in sich trug wie der Weltraum. Er war sich gerade nicht sicher, was er damit anfangen sollte, und schob es deswegen vorerst in eine sichere Schublade in seinem Kopf.

Als es immer dämmeriger wurde, beschlossen sie ein Restaurant zu suchen und etwas zu essen, bevor sie in ihre Unterkunft zurück gehen und nach einer Antwort von Spocks erweiterter Familie sehen würden. Vielleicht bildete er es sich nur ein, aber Jim dachte, dass es fast so aussah, als würde sein Freund es aufschieben, ihre Rückkehr irgendwie hinauszögern. Natürlich wusste er genug, um auf eine Frage diesbezüglich mit einer Antwort à la ‚Vulkanier werden nicht nervös‘ zu rechnen.

Er fragte trotzdem.

„Nervosität ist eine menschliche Eigenschaft.“, antwortete Spock und Jim blinzelte. Das war so gut wie eine Eingeständnis, wenn man zwischen den Zeilen las. Und ich bin zur Hälfte menschlich, war der wichtige Teil dabei, der wieder unausgesprochen wie ein Geheimnis zwischen ihnen schwebte.

„Da können Sie Gift drauf nehmen.”, murmelte er zustimmend. Dann fragte er lauter: „ Also was wissen Sie denn über sie? Ihre Familie meine ich.“ Er wollte nicht so wirken. als versuchte er im Privatleben des Mannes herumzustöbern, aber unter den gegebenen Umständen war die Frage wahrscheinlich gar nicht unangebracht. Außerdem hatte sein erster Offizier seit gestern wohl mehr über Jims eigene Familie gelernt als irgendjemand sonst auf dem Schiff.

Erst antwortet Spock nur mit einem subtilen, halben Schulterzucken; eine Geste, die Jim in ihrer Ungezwungenheit überraschte. Es schien eine unbewusste Bewegung gewesen zu sein. „Mein Wissen über sie ist lediglich fundamental. Ich weiß, dass meine Großeltern während eines Shuttle-Unfalls verstarben, lange vor meiner Geburt. Die Schwester meiner Großmutter hatte zwei Söhne, von denen einer in eine Kolonie gezogen ist. Ich bin mit nicht im Klaren über seinen genauen Aufenthalt oder seine Beweggründe, die zum Verlassen der Erde geführt haben. Der andere blieb hier und es ist seine Familie, die ich kontaktiert habe.“

„Alles klar.“, erwiderte Jim mit einem Nicken.

Die Temperatur war deutlich gesunken, als sie wieder bei ihrer Unterkunft ankamen. Nachdem er einige Zeit im Weltraum verbracht hatte, konnte Jim sagen, dass er die Einrichtungen für Landurlaub oder vorübergehende Besucher auf verschiedenen Welten kannte, und die in Toronto waren ziemlich nett. Das Gebäude war hoch, hatte eine spannungsvolle, gewölbte Konstruktion und einen guten Ausblick über die Stadt, wie sie bereits wussten. Es erinnerte ihn vage an die Studentenwohnheime der Sternenflotte, einfach wegen der Vielfältigkeit an Außerirdischen, die in der Nähe zu sehen waren.

Als sie oben bei den ihnen zugeteilten Quartieren angelangt waren, sah Jim zu Spock hinüber und bemerkte eine nervöse Aura um ihn herum. Während sein Freund zur Computerkonsole schritt, ging Jim zur Klimaanlage und erhöhte die Raumtemperatur. Ihm war nicht wirklich kalt und er war ziemlich sicher, dass Spocks Unbehagen eher innerlich als äußerlich war, aber es konnte nicht schaden. Dann legte er seine Sonnenbrille – die er in die Tasche gesteckt hatte, sobald die Sonne weg war- auf die nächste Ablagefläche und ließ sich in einem der schlichten grauen Stühle im Raum nieder. Er und Spock schienen viel zu laufen.

„Und?“, fragte er in immer noch heiterem Ton, als er neugierig zu Spock hinüber sah und sich fragte, wie das Urteil in dieser ganzen ‚erweiterte Familie‘ –Angelegenheit ausgefallen war.

Sein erster Offizier blieb für einen Augenblick still.

„Sie haben nicht geantwortet.“, sagte er schließlich, klappte den Computer zu und entfernte sich schnell davon. Seine langen, gemessenen Schritte brachten ihn direkt zum Fenster, welches nun die glitzernden Lichter der Stadt bei Nacht zeigte. Jim runzelte die Stirn.

„Vielleicht sind sie weggefahren?“, schlug er vor.

„Das ist irrelevant.“, sagte Spock abrupt. „Ihre Verbindung zu mir ist entfernt. Der Versuch einer Kontaktaufnahme mit ihnen war unlogisch.“

Jim mochte den Ton in Spocks Stimme nicht. Irgendwie klang er … leerer als sonst. Der Klang tonloser, das Fehlen von Flexion oder Emotionen fast übertrieben ausgeprägt. Es war eine merkwürdige Beobachtung. Fast so, als würde man feststellen, dass etwas ‚schwärzer als schwarz’war. Aber er wusste, dass er es sich nicht einbildete. Irgendwas war los.

Es sah nicht danach aus, als würde er Gelegenheit bekommen herauszufinden, was genau los war. Jedenfalls verschloss sich Spock während der nächsten halben Stunde gegenüber jedem Versuch, es aus ihm heraus zu bekommen. Er war völlig kalt und sogar etwas harsch – ein Schatten des früheren Spocks, den Jim seit geraumer Zeit nicht mehr gesehen hatte.

„Ich benötige Einsamkeit.“, schnappte der Halb-Vulkanier schließlich nach einem gescheiterten Versuch seines Captains, einen Scherz zu machen, und verschwand dann im kleinen, separaten Nebenraum, welcher die zwei nebeneinander stehenden Betten enthielt. Bevor Jim auch nur antworten konnte, war die Tür zugeknallt und verschlossen.

Für eine volle Minute saß Jim einfach nur da und fragte sich, warum es sich so anfühlte, als ob ihn gerade jemand mit einem Eispickel erstochen hätte und warum der freundliche, durch und durch einnehmende Spock der kurzen letzten Zeit schreiend davongerannt war.

Er sah misstrauisch zur Computerkonsole. Dann sah er zurück zur geschlossenen Tür und verdammte ihre ebene, neutrale Oberfläche.

Zur Hölle damit, fluchte er innerlich, bevor er zum Terminal hinüber ging und es aufrief. Wie er erwartet hatte, waren alle Nachrichten gelöscht worden. Aber er brauchte nur eine Minute, um die Dateien wieder zu finden. Wenn Spock sich die Zeit genommen hätte, sie endgültig zu löschen, hätte er keine Chance gehabt, doch anscheinend hatte er nicht damit gerechnet, dass Jim ihm seinen Mist nicht abkaufte. Oder er war nicht in der Verfassung gewesen, das zu berücksichtigen.

‚Vulkanier lügen nicht‘ war, nach Meinung von jemand, der mit ihnen irgendwie vertraut war, ein sehr angemessener Satz, weil es genau die Art von Lüge war, zu der Vulkanier neigten. Genau wie ‚Vulkanier haben keine Gefühle‘. Spock hatte nicht die Wahrheit gesagt, als er behauptete, es gäbe keine Antwort von seinen Verwandten – obwohl es wahrscheinlich das war, was er bevorzugt hätte.

Jim fühlte seinen Ärger um einiges wachsen, als er den höhnischen, beleidigenden und regelrecht hasserfüllten Inhalt der Antwort dieses entfernten Cousins las. Wörter wie ‚Freak‘ und ‚unnatürlich‘ tauchten schockierend oft auf und eine widerlich veraltete, rassistische Haltung und Feindseligkeit sprach aus jedem Wort. Die Antwort war sehr betont keine Einladung, vorbei zu kommen und ein paar Geschichten auszutauschen. Es war eine grundlose und unnötige Anklage an Spock, seine Mutter und Vulkanier im Allgemeinen. Nach allem was passiert war, nach der Vernichtung eines ganzen Planeten voll mit humanoiden Lebewesen, dass jemand mit so einer Einstellung ernsthaft…wahrhaftig…

Mit übertriebener Gewalt drückte er den Befehl die Nachricht wieder zu löschen und sprang dann förmlich von seinem Stuhl auf. Er lud die Adresse der Familie auf sein Datapad und warf sich seine Jacke über die Schulter, seine Bewegungen scharf und kraftvoll. Mit einem kurzen Klopfen an die geschlossene Tür teilte er Spock in unbewusst angespanntem Ton mit, dass er spazieren gehen würde.

Er sah noch immer Rot, als er in das Transportershuttle zum bis jetzt noch unbekannten Teil der Stadt stieg. Man sah ihm die Wut wohl etwas an, denn die Leute machten einen Bogen um ihn. Doch er bemerkte sie nicht einmal. Seine rechte Hand blieb zur Faust geballt, mit weißen Knöcheln, an seiner Seite.

Bevor er zur Sternenflotte gegangen war, hatte er nie einen Vulkanier gesehen. Der einzige, den er je persönlich kennen gelernt hatte, war Spock, der außerdem zur Hälfte menschlich war. Aber all die Toten und die Zerstörung, die sie ertragen mussten, suchten ihn noch manchmal in seinen Alpträumen heim. Er erinnerte sich an den Bohrer und den Anblick des Apparats, als er an ihm und Sulu vorbei direkt zum Kern des Planeten flog. Milliarden von Vulkaniern mussten sterben, weil er nicht in der Lage war, es aufzuhalten. Manchmal dachte er, wenn er mit dem Phaser darauf geschossen hätte, wenn er es früher hätte kommen sehen… er wusste, es war sinnlos. Er wusste es. Es war nur dieses beklemmende, hilflose Schuldgefühl, vor der alle Berater der Sternenflotte gewarnt hatten. Das war eine der Folgen einer solchen Katastrophe und es war nur menschlich, das Geschehene durchzugehen, zu überlegen, ob man alles getan hatte, um es zu verhindern, und sich zu fragen, ob man irgendwie Schuld daran hatte.

Er schleppte die Last des Todes von Vulkan nicht so sehr mit sich herum wie Spock, denn es war nicht sein Zuhause gewesen. Wenn der Inhalt dieser Nachricht also bei ihm einen Nerv getroffen hatte, konnte er sich nur vorstellen, wie sich sein erster Offizier fühlte. Ganz besonders, weil diese Leute tatsächlich physisch mit ihm verwandt waren. Ihm eine Familie sein sollten.

Er wollte am liebsten mit der Faust irgendwo hinein schlagen. Er wollte etwas zerreißen. Die Worte ‚wie können sie es wagen‘ gingen ihm die ganze Zeit durch den Kopf und waren beides, Ablehnung und Anklage – und zugleich noch das Harmloseste von allem, was er gerade dachte.

Alles in allem brauchte er ungefähr anderthalb Stunden, um sein Ziel zu erreichen, nachdem er sich einen Weg durch das peinlich genau organisierte Straßennetz gebahnt hatte, wobei er das Datapad in seiner Tasche nur gelegentlich auf die richtige Richtung checkte. Es zeigte an, dass es bereits sieben Uhr war, als er durch die Blöcke der Wohnsiedlung ging und das Haus dort ordentlich und friedlich inmitten einer Reihe einfacher, harmloser Häuser fand. Ein Kirschbaum blühte im Vorgarten. Er kontrollierte zweimal die Adresse. Es war die richtige.

Und dann blieb er stehen. Denn er war sich nicht sicher, was er jetzt tun sollte.

Seine Wut und Entrüstung hatten ihn den ganzen Weg bis hierher gebracht. Aber jetzt ließ ihn die Schwierigkeit der vor ihm liegenden Entscheidung inne halten. Er hatte den starken Drang, einfach die Treppe zur Veranda hochzulaufen und solange an die Tür zu hämmern, bis er die richtige Person hatte, die er zusammenschlagen konnte. Dann würde er zur zweiten Stufe übergehen – sie tatsächlich zusammenschlagen. Aber diesen Impuls unterdrückte er. Er war nicht wirklich (und war es nie gewesen) jemand, dem es Freude bereitete, anderen Schmerzen zuzufügen. Oh, er mochte es, zu kämpfen. Aber das war etwas anderes und er ließ auch immer seine Gegner anfangen. Er war ein Verteidiger, kein Angreifer. Der gleiche defensive Instinkt, der genug schiere körperliche Wut ausgelöst hatte, um ihn hier her zu bringen, verursachte nun einen inneren Konflikt in ihm.

Tja. Selbst wenn er jetzt nicht der Verlockung nachgab, sehr berechtigte Gewalt an ihm zu verüben, konnte er diesem Bastard immerhin so dermaßen die Meinung geigen, dass ihm davon der Kopf schwirrte. Und wer weiß? Vielleicht machte er den ersten Schlag und Jim würden die Gründe ausgehen, sich zu beherrschen. Er ging den ordentlichen, kleinen, betonierten Pfad zur Tür. Im Haus brannte Licht.

Der Klang eines Kinderlachens ließ ihn erneut zögern.

Okay, da waren also Kinder drin. Noch mehr Grund zur Bestürzung – vermutlich würden die Erwachsenen ihre unglaublich widerwärtige Lebensanschauung der nächsten Generation weitergeben. Vielleicht spielten sie Gesellschaftsspiele wie ‚lasst uns hier sitzen und die Aliens kränken, die gerade unter dem Verlust ihrer Heimatwelt leiden‘.

Er hob die Hand, bereit, entweder zu klopfen oder die Klingel zu drücken. Aber die Bewegung blieb unvollendet. Für einen langen, angespannten Moment stand er einfach nur da als ein Wirrwarr aus Gefühlen, von denen keines gut war.

Dann drehte er sich auf dem Absatz um und ging weg. Seine Füße trugen ihn fort von dem widerlichen Lichtschein des Hauses, vom ach so ‚heimeligen‘ Klang der Stimmen darin. Er lief bis zum Ende des Blocks, wo man einen kleinen Spielplatz hin gebaut hatte, der fast vollständig von einer hüfthohen Steinmauer umgeben war. Eine einfache, kleine Oase für die Kinder aus der Nachbarschaft. Er lehnte seine Ellbogen dagegen und vergrub das Gesicht in den Händen, atmete ein paar mal tief und gleichmäßig. Dann sah er nach oben, zu den fernen Stecknadelköpfen von Sternen, die über ihm funkelten.

Was zur Hölle machst du, Jim?, fragte er sich. Seine innere Stimme hatte irgendwann in den letzten paar Jahren angefangen, wie Bones zu klingen. Eine kühle Brise wehte ihm um den Kopf. Der harte Druck des Steins unter seinen Armen sickerte durch die Jacke, aber statt ihn abzuschwächen, lehnte er sich nur noch mehr hinein. Sein Kiefer spannte und entspannte sich, als er versuchte, seine Gefühle in den Griff zu bekommen.

Die Sterne halfen.

Nach einer Weile konnte er wieder denken und konzentrierte sich darauf, das Sortieren seiner Gefühle sein zu lassen und stattdessen seinen Kopf wieder zu benutzen. Gleichzeitig fragte er sich, was eine so starke Reaktion in ihm hervor gerufen hatte und was ihn davon abgehalten hatte, impulsiv zu reagieren. Normalerweise war er nicht der Typ für halbe Sachen.

Er würde wütend. Fanatismus machte ihn immer wütend, das war also keine Überraschung. Er regte sich vor allem wegen der Faktoren auf, die dazu beigetragen hatten – dass dieser Fanatismus sich gegen Vulkanier richtete, dass die Bemerkungen seinen Freund zum Ziel hatten. Und er war sich ziemlich sicher, dass Spock mittlerweile den Status ‚Freund‘ hatte, was ihn vorher eigentlich noch glücklich gemacht hatte. Aber ein kleiner Zwischenfall schien Eiswasser über die unbeschwerte Kameradschaft geschüttet zu haben. Also war er darüber auch noch wütend.

Also warum konnte er nicht einfach gegen die Tür dieses Mistkerls hämmern und seiner Frustration freien Lauf lassen?

Er dachte darüber nach, und dachte darüber nach, und betrachtete die Sterne, während die Nachtluft um ihn kalt und schwer wurde. Es fiel ihm erst nach einer ganzen Weile ein, dass die Transporter wohl nicht mehr fuhren. Ich werde Fuß zurückgehen müssen, dachte er und stieß sich endlich von der Mauer ab, holte sein Datapad heraus und stellte fest, dass er jetzt schon ein paar Stunden hier draußen war. Und trotzdem war er sich seiner selbst noch immer nicht sicher.

Er ging wieder an diesem Haus vorbei, und seine Schritte wurden langsamer, als er die gedämpften Lichter und die Stille, die es nun umgab, auf sich wirken ließ. Noch vor nicht allzu langer Zeit hätte er die Chance genutzt. Vielleicht hätte er das kleine Fahrzeug demoliert, das draußen davor stand. Er war immer noch zornig genug dafür.

Also was war anders? Warum dachte darüber nach, etwas zu tun, aber tat es dann nicht? War er ein Feigling geworden?

Er grinste humorlos über sich selbst. Vor nicht mal zwei Wochen war er draußen im Weltraum getrieben, mit nichts als einem Raumanzug zwischen sich und dem sicheren Tod, und hatte deswegen nicht mal mit der Wimper gezuckt. Ein Captain zu werden hatte ihn nicht plötzlich in einen unentschlossenen Schwächling verwandelt. Wenn überhaupt, hatte es ihn noch entschlossener werden lassen und zwang ihn, seine Ideen einzubringen und hinter seinen Entscheidungen zu stehen, wenn er sie einmal getroffen hatte.

Die Erkenntnis traf ihn so scharf, dass er wie angewurzelt stehen blieb. Deshalb konnte er es nicht tun.

Er war jetzt ein Captain der Sternenflotte. Er war stolz auf sich, auf diese Leistung – und die Tür irgendwelcher Zivilisten einzutreten, nur weil sie ihn sauer gemacht hatten (wirklich, wirklich stinksauer), ziemte sich nicht für einen Captain.

Er konnte das nicht tun, denn er war jetzt besser als das. Er war jetzt besser als sie und Spock war es auch.

Entschlossen und mit einer seltsam erfrischenden inneren Stärke verließ er das Haus, ohne sich noch einmal danach umzudrehen. Sie hatten also seinen ersten Offizier angegriffen. Er würde wirklich etwas tun, um ihm wirklich zu helfen – ihn ablenken, aufmuntern (obwohl das wahrscheinlich einige Versuche und Fehlschläge mit sich bringen würde) und ihm ein guter Freund sein. Er würde die enttäuschende Reaktion seiner verbliebenen menschlichen Verwandten wieder gut machen, indem er ihm half, das alles zu vergessen. Oder, na ja, vielleicht nicht ‚vergessen‘, wegen seines fast perfekten Erinnerungsvermögens und so, aber so nah, wie Vulkanier dem Vergessen eben kamen.

Das war ein guter Plan. Jim stieß nur auf Schwierigkeiten, als er nach gut einer Stunde Fußmarsch feststellte, dass er irgendwann einen entscheidenden Fehler gemacht haben musste, als er über alles nachgedacht hatte. Er kannte sich in dieser Stadt überhaupt nicht aus. Die Richtungsanweisungen seines Datapads führten ihn unter der Voraussetzung, dass die öffentlichen Verkehrsmittel noch fuhren – und waren mehr als verhängnisvoll ungenau, was Fußgänger anbelangte.

Und jetzt hatte er sich verirrt.
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